Assessment Center als Instrument der Personalauswahl

Inwieweit eignet sich das Assessment Center als Instrument zur Personalauswahl?

Michael Basmann, Assessment-Center Experte, Assessment Center
Michael Basmann
Ein Experteninterview mit Michael Basmann, Partner bei managerberater zum Thema Assessment Center als geeignetes Instrument der Personalauswahl. Das Interview wurde geführt von Svenja Kretschmer, Studentin Erziehungswissenschaft & Management an der Uni Erfurt. SK: Unternehmen entscheiden sich bei der Personalauswahl in immer stärkerem Maße zum Einsatz eines Assessment Center (AC). Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe? MB: Der vielleicht wichtigste Grund ist, dass Unternehmen bei der Einstellung mit dieser Methode am Ende eine breitere Informationsbasis für die zu treffende Einstellungsentscheidung haben. Sie bekommen, in relativ kurzer Zeit, umfangreichere und vielfältigere Informationen zu einzelnen Kandidaten. Ein Aspekt in diesem Zusammenhang ist wichtig: Durch das Einbinden mehrerer Beobachter, internen wie externen Führungskräften und Experten, entstehen unterschiedliche Blickwinkel und Sichtweisen, die einen fruchtbaren Austausch im Beobachterteam ermöglichen. Die Verschiedenartigkeit der bei einem AC eingesetzten Methoden sowie der nachempfundenen Realitätssituationen, ist ein weiterer wichtiger Grund, der die Akzeptanz für dieses Instrument bei unseren Kunden verstärkt. SK: Wie werden die fachlichen Fähigkeiten sowie die überfachlichen Kompetenzen der Bewerber in einem AC ermittelt? MB: Fachliche Fähigkeiten lassen sich in einem Assessment Center zunächst einmal dadurch erheben, dass die späteren fachlichen Vorgesetzten der Kandidaten als Beobachter in das Verfahren eingebunden sind. Ihre Aufgabe ist es, so beispielsweise im Rahmen eines ausführlichen Interviews, mit den Kandidaten die fachlichen Aspekte des Anforderungsprofils zu erörtern. Spezifisch fachliche Testverfahren oder Cases sind weitere methodische Ansätze. Zu den persönlichen, den überfachlichen Kompetenzen: Ein AC ist, allgemein gesprochen, immer nur so gut, wie es das Anforderungsprofil abbildet. Hierfür werden im Vorfeld eines ACs zunächst die relevanten Kompetenzen erhoben und, gemeinsam mit dem Kunden, das dem Verfahren zugrundeliegende Set an Anforderungen abgestimmt. Wichtige Bestandteile des Anforderungsprofils sind häufig sozial-kommunikative Kompetenzanforderungen, intellektuell geprägte Fähigkeiten sowie motivationale Aspekte, bspw. Handlungsorientierung, Initiative und Überzeugungsvermögen. In einem nächsten Schritt werden dann, aufbauend auf dem Profil, die verschiedenen Methodenbausteine festgelegt. SK: Und dieses Anforderungsprofil ist immer auf die jeweilige Stelle zugeschnitten? MB: Ja, allerdings muss man in diesem Punkt unterscheiden: Entweder es existiert auf Kundenseite bereits ein Anforderungs- oder Stellenprofil oder es muss im Vorprozess erst eines erarbeitet werden. Wenn, im ersten Falle, Kunden eine Vakanz wiederbesetzen möchten, sind häufig Stellenbeschreibungen oder ähnliche Dokumente verfügbar. Diese sichten und analysieren wir und stimmen daraufhin die Kompetenzen, die Grundlage des ACs sein sollen, in einem iterativen Prozess gemeinsam mit dem Kunden ab. Dazu ist es auch wichtig zu wissen, welche Auswahl-Instrumente mit welchem Auswahlfilter kundenseitig in dem gesamten Prozess eingesetzt werden, beispielsweise Unterlagensichtung, Telefoninterview oder klassisches Vorstellungsgespräch. Wichtig ist ein effektiver und effizienter Prozess, der das gesamte Anforderungsprofil angemessen umsetzt, keine Redundanzen beinhaltet und bestimmte Kompetenzen nicht überbetont und andere Kompetenzen wiederum überhaupt nicht berücksichtigt. Im zweiten Fall, wenn der Kunde noch keine klare Vorstellung zu einem Anforderungsprofil hat, beispielsweise weil es sich um neu oder neuartige Stellen handelt, erheben wir dieses zunächst, beispielsweise über Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitern der Fachseiten sowie von Human Resources. Die Ergebnisse, kombiniert mit unserem Input von externer Seite, spielen wir dem Auftraggeber zurück, zumeist unmittelbar mit einem Vorschlag, wie bzw. mit welchen Methoden die einzelnen Kompetenzen gemessen werden können. Dieser stellt zumeist einen multimethodalen Mix dar, der ganz unterschiedliche methodische Ansätze in ein AC-Konzept integriert. Solche methodischen Ansätze sind beispielsweise: Selbstpräsentation und Interview, Testverfahren, situativ geprägte Komponenten, also Simulationen der Arbeitsrealität. SK: Und diese situativen Übungen sind dann quasi auf die zukünftigen Anforderungen im jeweiligen Berufsfeld zugeschnitten? MB: Grundsätzlich versuchen wir bei der Konstruktion einzelner Simulationen immer recht nah an der Realität dran zu sein. Zu berücksichtigen ist bei der Entwicklung eines Verfahrens allerdings auch, dass Kandidaten, die ein Spezialwissen auf einem bestimmten Gebiet aufweisen, anderen Kandidaten gegenüber dadurch keinen Vorteil haben. Das ist schon ein gewisses Spannungsfeld: Wie nah bin ich bei der Verfahrenskonstruktion an einem konkreten fachlichen Gegenstand dran und wie weit muss ich davon möglicherweise entfernen. Bei manchen Verfahren ist ein spezifisches Wissen allerdings wichtig und soll explizit erhoben werden. Bei anderen Fragestellungen wiederum ist das eher nicht gewünscht, beispielsweise bei der Auswahl Dual Studierenden, die sich die Fachlichkeit im engeren Sinne ja erst während des Studiums erarbeiten sollen. Für uns als externe Berater ist es immer eine Herausforderung, uns in ein konkretes Aufgabenfeld einzudenken und uns in eine spezifische Unternehmenskultur hineinzufühlen. SK: Welche Rolle nehmen die Beobachter in einem AC ein und welche Aufgaben haben sie dabei? MB: Die Hauptaufgabe der Beobachter bei einem AC ist das Beobachten und Bewerten von Verhalten. Im Rahmen der Vorbereitung auf ein AC werden alle Beobachter intensiv auf diesen Aspekt, den Beobachtungs- sowie den Bewertungsprozess, geschult. Wir als Externe werden häufig von unseren Kunden gebeten, zusätzlich dazu noch die Moderation des Verfahrens sowie, aus Standardisierungsgründen, die Rollenspielerparts zu übernehmen. Hinzu kommt des Weiteren die Rolle des Feedbackgebers am Ende eines ACs. SK: Worauf müssen Beobachter bei der AC-Durchführung besonders achten? MB: Wichtig ist, dass jeder Beobachter über eine innere Maßstabsicherheit verfügt, also weiß, was die Erwartungshaltung ist und einen Bewertungsmaßstab hat, der nicht die Kandidaten zueinander ins Verhältnis setzt. Wichtig ist weiterhin, dass allen Kandidaten gleiche Durchführungsbedingungen ermöglicht werden. Zudem ist das Atmosphärische bei einem AC besonders wichtig: Kandidaten bringen einem Unternehmen nur dann Vertrauen entgegen, wenn sie spüren und erleben, dass ihnen respektvoll, professionell sowie mit Transparenz begegnet wird. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht: eine eher lockere als eine steife Atmosphäre wird aus Teilnehmersicht eher positiv wahrgenommen. Eine Atmosphäre, die Kandidaten als Begegnung auf Augenhöhe erleben. SK: Sie haben ja gerade schon erwähnt, dass die Beobachter bezüglich ihrer Rolle sich gut vorbereiten müssen. Wie geht das Ihrer Meinung nach am besten? MB: Es bietet sich immer an, im Vorfeld eines ACs ein Beobachtertraining für die Beobachter durchzuführen, in der Regel, je nach Vorerfahrungen der Beteiligten, rund 3- bis 5-stündig. Dabei wird die Verfahrenskonstruktion erläutert sowie die Rolle und Aufgaben der Beobachter. Weiterhin tauschen sich die Beobachter über Beobachtungstendenzen sowie mögliche Beobachtungs- und Bewertungsfehler aus. Anhand von konkreten Beispielen werden die Simulationen, die unterschiedlichen Verfahrensbestandteile, durchgesprochen und man verständigt sich auf gemeinsam getragene Anforderungen in den einzelnen Simulationen: umso die bereits angesprochene Maßstabsicherheit überhaupt erst herausbilden und standardisiert anwenden zu können. Und die Beobachter verständigen sich über das Führen der Feedbackgespräche, also über Struktur, Tonalität und Ablauf dieser individuellen Gespräche am Ende eines ACs. SK: Gut. Nun zu den Vor- und den Nachteilen. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Vorteile eines ACs? MB: Die Realitätsnähe von ACs ist, verbunden mit einem multimethodalen Ansatz, ein wirklich entscheidender Aspekt, der auch von Kandidaten immer wieder besonders hervorgehoben wird. Auch im Internet wird ja sehr stark über ACs diskutiert und Teilnehmer tauschen ihre Erfahrung mit den unterschiedlichen Ansätzen aus. Je professioneller, im Sinne von realitätsnäher, ein AC konstruiert ist desto besser wird im Netz über die Veranstaltung gesprochen. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist, dass man in ein AC Aspekte des Personalmarketings sehr gut integrieren kann. Aus meiner Sicht ein ganz zentraler Punkt, der in den kommenden Jahren sicherlich noch an Bedeutung hinzugewinnen wird. Kunden sehen ACs zunehmend als Veranstaltungen an, bei denen nicht nur sie eine Auswahlentscheidung treffen, sondern bei denen auch die Bewerber Auswahlentscheidungen treffen, nämlich für oder gegen einen Arbeitgeber. SK: Wie kann das dann aus Unternehmenssicht ganz konkret aussehen? Über die Art und Weise der Durchführung eines Auswahl-Assessment-Centers transportiert ein Unternehmen eine Vielzahl an Informationen, bewusst oder unbewusst, beispielsweise zum Umgang untereinander aber auch zum Umgang mit Unternehmensexternen. Ein AC vermittelt also immer auch ein Stück Unternehmenskultur. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass das Unternehmen ein realistisches Bild der Unternehmenswirklichkeit zeichnet, auf das Unternehmen bezogen, aber auch mit Blick auf die konkrete zur Disposition stehende Position. Instrumente hierbei sind, ergänzend zu den realistischen Simulationen des ACs, Unternehmenspräsentationen, Werksrundgänge und Führungen sowie Meet-the-Team-Runden. SK: Und was sind die größten Nachteile aus Ihrer Sicht? MB: Aus Kundensicht ist bei einem Assessment Center, beispielsweise gegenüber einem einfachen Vorstellungsgespräch der etwas höhere Aufwand in zeitlicher und in personeller Hinsicht sowie mit Blick auf das Budget zu nennen. Dagegen steht, dass das Risiko der Fehleinstellung mit einem AC reduziert und die daraus resultierenden Folgekosten eingeschränkt werden. SK: Häufig liest man „Der beste Schauspieler gewinnt im Assessment Center.“ Wie stehen Sie zu dieser Aussage, also inwiefern bestehen aus Ihrer Sicht Manipulationsmöglichkeiten? MB: Genau das Gegenteil ist der Fall. Erfahrene Beobachter durchschauen Schauspielerei relativ schnell und erleben ein solches Verhalten von Kandidaten als nicht authentisch. Nicht authentisch heißt nicht glaubwürdig, nicht glaubwürdig heißt nicht überzeugend, und nicht überzeugend bedeutet, dass es am Ende eher kein Angebot für die Stelle gibt. Hinzu kommt eines: Kandidaten die kein Bühnen-Gen haben und die sich eher unwohl in Auftrittssituationen fühlen, haben gerade in einem AC die Chance zu zeigen, welches Potenzial in Ihnen schlummert, beispielsweise bei Fachgesprächen, während eines Interviews oder bei Tests und Cases. Die Kandidaten, die auf ihre eigenen Stärken vertrauen und sich authentisch geben, haben bei einem AC die besten Chancen, am Ende ein Angebot zu erhalten. SK: Es ist also nicht möglich, im Assessment Center sein Verhalten zu verstellen nur um dem gewünschten Anforderungsprofil gerecht zu werden? MB: Es ist schon wichtig, dass Kandidaten gegenüber das erforderliche Kompetenzraster transparent gemacht wird. Die Situation an sich soll ja keine Blackbox sein. Wenn aber Kandidaten sich während des gesamten ACs nur darauf konzentrieren, sich so zu geben, wie sie denken, dass es von den Beobachtern gerne gesehen werden würde, dann schränken sie sich in ihrer Leistungsfähigkeit selbst ein. Je lockerer jemand an die Thematik herangeht, und je lockerer sich jemand auch im Kontakt gibt, je mehr er sich auf die Situationen einlässt und je mehr er auf seine eigenen Stärken vertraut, desto eher führt das zu einem positiven Ergebnis. Mal von der anderen Seite her gedacht: Wenn ein guter Schauspieler aufgrund seiner guten Schauspielerei am Ende auch ein Angebot für die offene Stelle bekäme, dann würde er möglicherweise eine Stelle antreten die er mit seinem eigentlichen Kompetenzspektrum gar nicht verkörpert. Ob er oder sie in einem solchen beruflichen Umfeld dann glücklich werden würde? SK: Zusammengefasst: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte bei einem AC? MB: Besonders wichtig erscheint mir der Prozess im Vorfeld eines ACs. Die Qualität eines Verfahrens und die Qualität der mit einem Verfahren gewonnenen Aussagen, steht nach meinem Dafürhalten in einem engen Zusammenhang zu Art und Umfang des Vorprozesses. Welcher Auswahlkanal kommt zur Anwendung, welche Kompetenzen und Anforderungen werden dabei zu welchem Zeitpunkt erhoben? Zu welchem Kompetenzset kann und soll in einem AC valide Auskunft gegeben werden? Und nicht zuletzt: Zeit und Energie in die Entwicklung eines passgenauen, sprich zielgruppengerechten Verfahrens investieren. In ein Verfahren, welches heutige und zukünftige Herausforderungen stimmig abbildet. Realistisch, aber mit einem ansprechenden Personalmarketingeffekt. Aus vielen AC-Verfahren aber auch über mehrere von uns durchgeführte Studien zu dieser Thematik wissen wir, dass die Qualität des Feedbacks am Ende eines Assessment Centers für Kandidaten von entscheidender Bedeutung ist. SK: Also, dass auch Kandidaten, die abgelehnt wurden, ein Feedback erhalten? MB: Ja, klar. Im besten Falle nimmt ein Kandidat auch aus einer Absage etwas für sich persönlich oder seine Orientierungs- und Bewerbungsphase mit. Gerade Absolventen oder jüngere Berufseinsteiger sind für Hinweise zu ihrer Person und ihrem Verhalten in einem AC immer sehr dankbar. Zumindest sollte ein Kandidat immer nachvollziehen können, warum es mit einem Angebot geklappt oder nicht geklappt hat. Neben einem guten ersten gibt es eben auch einen guten letzten Eindruck. Und den sollten Unternehmen für sich nutzen, gerade beim abschließenden Feedbackgespräch. Ein Feedback, welches klar und wertschätzend geführt ist, Verhaltensalternativen aufzeigt und dabei auch kritische Aspekte nicht ausspart, wird von Teilnehmern in aller Regel positiv wahrgenommen.

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